Der Klang der Wüste

Von Thomas Bez am 12.05.2001, mit zwei Kommentaren

Weblog Tedesca <http://www.tedesca.net>

 

"Under construction"

Keines "meiner Länder" hat so sehr meinen Ärger provoziert wie Saudi Arabien. Keines ist mir in so plastischer Erinnerung geblieben. Wie kann man nur nach so einem Land Sehnsucht entwickeln? Aber man kann.

Meine erste Reise begann damit, daß ich auf den Frankfurter Flughafen zwei Minuten vor Boarding jemandem die Himmelsrichtung für sein Gebet weisen mußte. Mithilfe meines GPS-Empfängers nordete ich ihn ein. Er war glücklich über diese Hilfe, hatte vielleicht noch einiges gutzumachen.

Ankunft



Als ich auf meiner Dezember-Reise in Arabien ankam, hatte gerade der Ramadan begonnen. Die Restaurants des Hotels blieben den ganzen Tag bis Sonnenuntergang geschlossen. Für die Ungläubigen gab es Frühstück in einer der Suiten. Die Lage des Zimmers wurde mir an der Rezeption vage beschrieben, ohne Nennung einer Zimmernummer. Die Zimmertür war angelehnt, weder offen noch richtig zu. Das war das Zeichen. Der Übertretung der Sitten sollte keinerlei Vorschub geleistet werden. Das ganze Frühstück war ein konspirativer Akt.

Fremde


In Saudi Arabien arbeiten sehr viele Ausländer. Nur Ausländer arbeiten dort, denn zur arabischen gesellschaftlichen Konvention gehört, daß es ehrenvoll ist, das Schwert zu führen. Erwerbsarbeit ist ihnen etwas für die Unterschicht.

Es gibt ein gewisses wiederkehrendes Muster der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in den Ländern Asiens, die eine hohe Zahl an Ausländern anziehen. Malaysia als gemäßigt islamisches Land ist ein Musterbeispiel. Die Chinesen machen dort die Geschäfte, sie halten die Wirtschaft am Laufen, aber gelten nicht viel. Pogromartige Ausschreitungen kommen dann und wann vor. Die Inder machen die Drecksarbeit: putzen, fahren, bedienen, und gelten garnichts. Die Einheimischen machen weniger Gescheites, sitzen aber an den entscheidenden Stellen und haben ihre Assistenten zur Seite. Oder sie werden so gut es geht mit Posten versorgt.

Chinesen gibt es in Saudi Arabien fast nicht, ist halt kein Land für Geschäfte, und Araber können auch ganz gut Geschäfte. Chinesen gehören als Buddhisten außerdem keiner der privilegierten Religionen an, sie müßten schon Christen sein. Die einzigen Chinesen, die ich in der ganzen Zeit in Arabien zu Gesicht bekam, führten ein chinesisches Restaurant, wo ich auch während der Gebetszeit in einem blickdichten Hinterraum Asyl fand und weiter essen konnten. Aber bis zu Alkohol hatten sie es auch nicht gebracht.


Inder gibt es nicht, sind Hindus, gilt dasselbe wie für die Chinesen. Ihre Rolle nehmen Pakistani und Bangladeshi ein. Elf Monate in Arabien, ein Monat daheim, ernähren dort zehn Köpfe mit ihrem Lohn. Für die Familien mag es durchaus beruhigend sein, ihren Ernährer in Saudi Arabien zu wissen. Ist ein sicheres Pflaster, praktisch frei von allen bisher erforschten Versuchungen.

Die unterste Arbeitsebene mit gehobener Qualifikation weist viele Filipinos auf, auch Somalier. Die nächste Ebene wird von befreundeten Nachbarnationen bestimmt: Syrer, Jordanier, Ägypter. Die Ebenen ab Abteilungsleiter sind fast nur noch Saudis zugänglich, von denen jeder angemessen viele ausländische Berater und Assistenten zur Seite hat, darunter viele Amerikaner. Und dazwischen schwirrt wie der Kitt des ganzen eine erkleckliche Zahl weiterer Berater; ich gehörte für einige Zeit zu diesem Kitt dazwischen.

Seßhaftigkeit



Ein Siebtel der Saudis lebt noch nomadisch, der Rest ist nicht nur seßhaft, sondern bevölkert zunehmend die größeren Ballungsräume. Eine Unzahl kleiner, verlassener Orte findet man rund um Riad, nicht weit von den Hauptstraßen.




Die alten Orte verfallen auf eine sehr charmante Weise. Da sie aus Lehm und Stroh und etwas Holz bestehen, verschwinden sie nach gewisser Zeit der Nichtbeachtung ganz von selbst, langsam aber unaufhaltsam. Jede Regenzeit spült ein wenig davon zu Boden, wie bei einem Zuckerwürfel, der im heißen Kaffee zerfällt und sich schließlich auflöst.




Jedes moderne Beiwerk wie Fliesen oder Elektrokabel (jawohl!) bleibt in diesem Klima natürlich als beinahe unverwüstliches Sediment übrig, wo einmal ein Haus stand.

Häuser



Von Frauen und Häusern sieht man in Arabien nur den äußeren Umriß. Die innere Struktur ist dem abendländischen Auge nicht erahnbar. Die äußere Grundform ist der Kubus, der nur durch ein Minimum an Fenstern gestört wird.

Eine Regenrinne, die mitten in der Hauswand entspringt, und darüber ein kleines Stück Himmel verraten, daß dort das nächste Stockwerk beginnt, das zumindest teilweise einen Dachgarten umfaßt.



Man kann die Idee, die hinter der Bauweise steckt, selbstverständlich an den Ruinen studieren. Oder man kann in Riad auf einen der innerstädtischen Hügel aus Limestone klettern und hoffen, daß man nicht eine mangelhaft verhüllte Frau auf einem nachbarschaftlichen Dach überrascht, was sicher höllischen Ärger zur Folge hätte.




Die Häuser öffnen sich oben und innen. Der perfekte, schnörkellose Kubus eines noch nicht zu Boden gespülten Hauses machte mir verständlich, wie diese Architektur gemeint ist. Das romantische Gemüt spult Märchen aus 1001 Nacht auf den schmalen Stiegen zwischen Innenhof und Dachterrasse ab.




Wohlstand drückt sich sicher in der Wahl des Baumaterials aus.

Städte





Bauvorhaben, die eine Vollendung erfahren, lassen planvolles Vorgehen erkennen.





Rohbauten in klassischer Formensprache, aber mit modernen Materialien errichtet, wuchern an den Stadträndern und entlang der Straßen. Fast alle geben sich den Anschein von Bauruinen, einige sind es erkennbar tatsächlich. Nach welchem Zeitmaß Arbeiten fortschreiten, ist unergründlich.




Kleine Siedlungen, slumhaft, am Rande der Autobahn, von unbeschreiblicher Trostlosigkeit.

Isolation


Wer in Saudi Arabien arbeitet, bleibt dort nur über etwa sechs Wochen dauernden Aufenthalts ein (relativ) freier Mensch. Danach liefert man seinen Paß beim Arbeitgeber ab, bekommt das begehrte Iqama, eine personalausweisähnliche Aufenthaltskarte, und fühlt sich ab sofort ausgeliefert und gefangen. Das ist der Moment, da schwächere Naturen für den Rest ihres Aufenthaltes zum Zynismus konvertieren. Wer zehn Jahre dort in Compounds lebt, solche Leute habe ich kennengelernt, ist unbedingt Zyniker geworden.

Die fremden Abendländerinnen könnten es sich durchaus schon erlauben, ohne Begleitung des Ehegatten in die Stadt zu fahren. (Sich fahren zu lassen.) Die meisten in den Compounds sind angepaßt genug, das nicht zu tun.

Man kann übrigens als hochbezahlter Europäer zehn Jahre in Saudi Arabien leben, ohne in persönlichen Kontakt mit Saudis zu kommen. Die Welten sind auf eine Weise getrennt, die das beinahe schon als selbstverständlich erscheinen läßt.

Man kann auch in Saudi Arabien alles bekommen, wenn man über kommunikative Talente verfügt. Die kann man zum Beispiel nutzen, um einen guten Kontakt zu Amerikanern aufzubauen. Die Amerikaner haben alles, denen geht es gut, die leben wie die Maden im Speck. (Sagen die Vertreter aller anderen westlichen Nationen. Mir fehlte die Zeit und das kommunikative Talent, das zu überprüfen.)

Autofahren


Autofahren ist Frauen grundsätzlich verboten. Auf arabischen Internetseiten kann man in Diskussionsforen durchaus ernsthafte Erörterungen finden, ob Frauen denn eigentlich doch autofahren sollten, und warum nicht. Die einleuchtendste Erklärung lautete: Die Frau könnte auf einsamer Fahrt verunglücken, nicht mehr in der Lage sein, Bruder, Schwager oder Ehemann (in dieser Reihenfolge, nota bene) anzurufen. Und ein fremder Mann könnte sie finden "and have his way with her". Was allerdings von ebenfalls einleuchtenden Einwänden gefolgt wurde, daß die arabischen Männer doch so schlimm nun auch wieder nicht seien.

Eine andere, ebenfalls einigermaßen schlüssige Erklärung lautete: Frauen können schlichtweg nicht fahren. Die Meßlatte liegt aber nicht besonders hoch in Saudi Arabien. Und wie überall auf der Welt sind die Inder im Durchschnitt die waghalsigsten. (In Saudi Arabien ihre Vertreter, die Pakistani und Bangladeshi.)



Beim Autofahren gelten wenige, sehr einfache Regeln.
1. Im Prinzip herrscht Rechtsverkehr.
2. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 gilt nur außerhalb der Städte.
3. Die weißen Striche auf der Fahrbahn sollten mit der gedachten Längsachse des Fahrzeugs zusammenfallen.
4. An Kreuzungen beginnt man sich links aufzustellen (auch als Rechtsabbieger - siehe unten), dann wird so dicht wie möglich nach rechts aufgefüllt. Geübte Fahrer bringen es auf fünf Fahrzeuge je drei Spuren.
5. Wer hupt, zeigt damit an, daß er sich im Besitz der Vorfahrt wähnt. Wenn beide hupen, entscheidet das Los.
6. Es hupen immer alle.
7. Beim Einbiegen in eine Hauptverkehrsstraße drängt man sich diagonal in den Verkehr in der am weitesten links liegenden Spur.
8. Um diese Spur beim nächsten Rechtsabbiegen diagonal über die anderen Spuren wieder zu verlassen.
9. Man wechselt nicht gleich in eine freie Spur, sondern schiebt das auf, bis sie nicht mehr frei ist. Dann hupt man.
10. Beim Losfahren an der Ampel hupen immer alle, außer dem Ersten. Der hupt nicht, sondern er ist gemeint.
11. Manchmal hupt sogar der erste, was bedeutet, daß die Rotphase unangemessen lang war.
12. Im Kreisverkehr muß man sehr tapfer sein.

Kaum anders als in Mailand also.

Essen


Die Möglichkeit, vielleicht auch nach dem Ruf des Muezzin bleiben zu können, ist der einzige Grund, nichtarabisches Essen in Erwägung zu ziehen. Die arabische Küche ist unübertrefflich. Ich erinnere mich noch immer gern der orgienhaften Mahle am Abend jedes Ramadantages, wo man vielerorts für einen Pauschalpreis essen kann so viel man mag. Die Küchen überschlagen sich an diesen Abenden und wollen zeigen, daß dies doch das Land ist, wo Milch und Honig fließt. Man sollte aber rechtzeitig da sein.


Die Farmen sind üppige, wahrscheinlich auch mit Wasser von den Küsten versorgte Einsprengsel in der Wüste. Das Wort "Erde" ist unangebracht, wie man leicht an Feldern sehen kann, die man der Wüste zur Wiedervereinnahmung anheimstellte. Hier ist alles Sand und kalkig-steiniger Boden, und wo am Straßenrand in wohlhabenden Farmgegenden Schläuche gut dosiert Wasser freisetzen, wachsen prächtige Palmen, solange Anlaß zur Bewässerung gegeben ist.

Arbeit


Die Arbeitslosigkeit in Saudi Arabien soll erschreckend hoch sein. Die praktisch gleichgeschaltete inländische Presse beklagt die mangelnde Flexibilität gerade der jungen Frauen bei der Arbeitssuche. Faktisch stehen einer jungen Araberin aber nur zwei Karrierechancen offen: Lehrerin oder Krankenschwester. (Ich gestehe, nur die englische Ausgabe der Arab News lesen zu können, die für den Konsum durch westliche Fremde weichgespült ist.)

Saudi Arabien ist nach Afghanistan und Iran (so konnte man zu jener Zeit sagen, als ich dort war), das fundamentalistischste, was einem auf dieser Welt widerfahren kann. Und Riad ist dortdrin wiederum das Sittenstrengste. Die Königsfamilie, Behüter der zwei Moscheen, wacht darüber und gewinnt, selbst wohl eher weltlich, daraus einen guten Teil ihrer permanent gefährdeten Legitimation.

Königshaus

An die Königsfamilie wird man das erste Mal auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt erinnert, wenn man den Royal Airport passiert, der allein den etlichen Tausend saudischen Prinzen dient. Ihre Paläste verteilen sich auf die Stadt; zwei der wohlhabenderen Vertreter der Familie liefern sich in der City von Riad eine Hochbaukonkurrenz, bei der futuristische, vielleicht nicht gerade besonders dringend benötigte Bürohäuser entstehen.

Vergnügungen

"Sie schlagen sich eben stattdessen die Stirn wund", meinte einer, ein junger Bursche, der es schon nach acht Wochen zum Zyniker gebracht hatte. (Man sollte eben nur stabile Naturen nach Saudi Arabien lassen.) Aber was sind die Vergnügungen der Stadt? Wo, wenn nicht in der Stadt, sollte man sich vergnügen? Man muß sich lösen von der Vorstellung eines öffentlichen Lebens, wie man es aus Alter und Neuer Welt kennt.


Lake Karrarah ist ein... man könnte sagen: Erholungsgebiet in der Nähe von Riad. Das Wasser ist gelblich-trübe, wie sollte es anders sein. Aber man badet ja schließlich nicht in dem See. Man fährt hin und ist dann da und campiert zwei, drei Stunden, läßt seinen Müll da und fährt wieder heim. Größte kommunizierende Einheit ist die Familie. Schilderungen besagen, daß es im Frühjahr am Lake Karrarah wundervoll sein soll: es soll grün sein, und Vögel singen. Das mag schwer vorstellbar sein, das ist aber vielleicht eine Frage der gewohnten Relationen: Was stellen wir uns in Europa unter frühlingshaftem Vogelgesang vor, und was kann die Wüste bieten?

Wer von den Einheimischen es sich leisten kann, fährt alle paar Wochen mal nach Qatar oder Dubai rüber und läßt die Sau raus, säuft und geht in den Puff.

Auf Drogen steht die Todesstrafe, worauf man bereits im Flugzeug eindringlich mit roten Aufdrucken auf den Immigration Cards hingewiesen wird. Was tut man, wenn man Drogen bei sich hat und einen nun der Mut verläßt? Drucke des Koran darf man auch nicht einführen. Es blieb mir absolut schleierhaft, warum nicht, aber in mir reifte der Gedanke, ob ich nicht mein Leben mit dem Schmuggel gefälschter Korane aufs Spiel setzen könnte. Die Liste der Don'ts in korrekter Reihenfolge: Drogen, israelische Visa, Alkohol, Korane, Illustrierte mit nackten Brüsten, Illustrierte ohne nackte Brüste.

Auf meiner Dezember-Reise hatte ich das Klima unterschätzt. Arabien ist zu dieser Zeit frisch und recht regnerisch. Ich mußte mir einige warme Sachen kaufen. In der Einfaufsmall hatte ich mehrere Hürden zu überwinden. Erst geriet ich in ein Family Area und wurde als elender Strolch hinausgeworfen. Dann hatte ich die richtigen Geschäfte gefunden, wurde aber von der Religionspolizei hinausgewiesen. Ich gesellte mich zu fahrendem Rucksackvolk.

Erstaunliche kleine Fummel gibt es in Geschäften zu kaufen, die ich nicht so deutlich fixierte, um nicht vielleicht noch massiven Ärger wegen sittlicher Verderbtheit zu bekommen. So kleine Fummel, daß man sich als Fremdling garnicht vorstellen kann, unter welchen Rahmenbedingungen so etwas getragen werden darf.

Religion


Die Gebetszeiten werden eingehalten und darüber wacht die Religionspolizei. Die ist nicht bewaffnet, trägt nur kleine Stöckchen bei sich. Aber sie tritt mit hoher Autorität auf und Widerstand gegen ihre Anordnungen ist schwer vorstellbar. Und eigentlich ist sie auch nicht wirklich notwendig, um die Einhaltung der Gebete zu überwachen, sondern in erster Linie die Schließung der Geschäfte. Und so erstirbt sechsmal am Tag für eine halbe bis ganze Stunde alles Leben in der Stadt. In Firmen und Hotels sind einzelne Neben- oder Kellerräume zu Moscheen geweiht, sodaß der Arbeitsausfall nicht überhand nimmt.


In anderen Ländern habe ich erlebt, daß weniger Strenggläubige sich ins Auto setzten und dreimal um den Block fuhren, da für Mohammedaner auf Reisen weniger strenge Vorschriften gälten. Solche Spitzfindigkeiten habe ich in Saudi Arabien nicht gehört.

Man sollte eine Religion angeben, bereits auf dem Visaantrag. Ich, als absolut gottloser, weil ungetaufter Heide aus der ehemals kommunistischen Hemisphäre, habe eine Weile mit mir ringen müssen, welche Konfession wohl die meine sei. Als gebürtiger Anhaltiner müßte ich es wohl mit dem Doktor Luther halten. Nach fünf Jahren Bayern und dem intensiven Erlebnis der Berge habe ich eine ausgesprochene Affinität zum Katholischen. (In den Bergen muß man katholisch werden, sonst hat man sie wohl nicht verstanden.) Für Arabien entschied ich mich einfach für "christian". Details des Bekenntnisses wollte man tatsächlich nicht von mir wissen.

Als Vertreter einer der beiden nichtislamischen Buchreligionen genießt man unter den Mohammedanern Arabiens gewisse Privilegien. Heißt es. Freilich sind das Dinge, die ein Westeuropäer erst auf den zweiten Blick als Privilegien erkennt. Man muß nicht um sein Leben fürchten, kann sich frei bewegen, an den wichtigsten Verrichtungen des Alltags teilhaben. Man sollte seinen gewohnten Gebetstechniken nur im Stillen nachkommen.




Moscheen gibt es überall, wohin das Auge nur blickt. Jede Tankstelle ist auch eine Gebetsstation; die Moschee gehört zum Bild einer Provinztankstelle wie in anderen Ländern der Schnellimbiß.



Auch zu den verlassenen Ortschaften gehören oft Moscheen, die alle intakt sind. Sie würden keines ihrer Gotteshäuser je verfallen lassen.

Information


Satellitenschüsseln, heißt es, seien nicht erlaubt. Jedes Haus hat eine, mehr oder weniger gut vor den Blicken verborgen, je nach gesellschaftlichem Rang des Besitzers, wie ich vermute. Man bekommt alle Satellitensender zur freien Auswahl. Während einer meiner Zwischenaufenthalte in Deutschland lief im deutschen Fernsehen ein mickriger kleiner B-Film, der von einem guten naiven Amerikaner handelte, der von gerissenen bösen Arabern über den Löffel balbiert wurde, seinen Paß einbüßte (ohne auch nur ein Iqama zu bekommen), praktisch gefangen war und schließlich auf recht abenteuerliche Weise floh. Der Film soll in Saudi Arabien von einer Senderstörung betroffen gewesen sein.

Energie

Elektrische Geräte zu speisen erfordert in Büroimmobilen Saudi Arabiens einige technische Vorbildung. Denn es gibt beide Spannungssysteme (115 Volt und 230 Volt) oft im selben Haus konkurrierend, erstaunlicherweise wenigstens alles als Wechselstrom. Vor jedes empfindliche elektrische Gerät wie zum Beispielk Computer ist noch ein zweites elektrisches Gerät geschaltet, das den Strom reinigt, bürstet und gegebenenfalls auf 230 Volt oder auf 115 Volt herunter transformiert. Die Kombination von Steckdose, Vorschaltgerät und Verbraucher erlaubt zahllose Varianten, von denen immer alle bis auf eine verkehrt sind. Ich habe an einem Tag einen Computer und ein Vorschaltgerät zerstört und mich fortan aus der Stromversorgung herausgehalten.

Wasser


Das Wasser in Riad macht keine besondere Freude. Es ist nicht gefährlich, aber riecht muffig. Jeder Liter kommt über eine Pipeline von einer der beiden Küsten, aus Jeddah oder Dammam. Ich traf in meinem Hotel einen anderen Deutschen, der sein Leben damit verbringt, in Saudi Arabien solche Anlagen aufzubauen, zu erweitern und zu warten. Der Hunger nach Wasser steigt in dem Maße, wie die Menschen ihr ehemaliges Nomadendasein vergessen.


Der Grundwasserspiegel von Riad ist in den letzten hundert Jahren ins Bodenlose gesunken. Ein Land mit dem Ölreichtum Saudi Arabiens braucht sich heute um die Entsalzung des Meerwassers noch keine Gedanken zu machen. Eines Tages wird es aber so weit sein. Es ist übrigens anzunehmen, daß das Land die Zeit seiner Prosperität weiterhin nicht dafür nutzt, um für die Zeit nach dem Öl nachhaltig eine Wirtschaft aufzubauen. Aber welches Land hätte schon je geschafft, sich in guten Zeiten auf die absehbar schlechten vorzubereiten?

Eine Geschichte vom Beginn des Ramadan

Auf meiner Reise, die mich in Berührung mit der Institution des Ramadan brachte, konnte ich auch gleich kennenlernen, wie der Ramadan entsteht.
Die Astronomen des Königs beobachten den Mond. Wenn er sich erneuert, beginnt der Monat Ramadan. Nun hatten die profanen Astronomen, Ungläubige, den Neumond schon für Samstag berechnet. Das ficht die Astronomen des Königs aber nicht an. Sie müssen den Mond sehen, um festzustellen, ob er nicht zu sehen ist und ein neues Jahr rechtfertigt. Am Sonnabend war der Himmel über Riad bewölkt, es hatte geregnet. Die Astronomen konnten den Mond nicht sehen, also noch kein Ramadan.

Lokales Scheißwetter hat globale Auswirkungen. Auch die arabische Welt hat das Bedürfnis nach gedruckten Kalendern, und das schon vorab. Die Kalender waren schon gedruckt, in der Annahme, daß am Sonnabend Neumond sein würde, wie die profanen Astronomen, Ungläubige, berechnet hatten. Ist ja normalerweise blitzblanker Himmel. Die Kalender waren damit Makulatur.

Bedauerlicherweise wird der Spruch der Astronomen des Königs nicht überall in der islamischen Welt akzeptiert. In China ist der dort für den Mond Verantwortliche am Samstag auf das Dach einer Einkaufsmall in Taipei geklettert und hat dort zweifelsfrei festgestellt, daß der Mond wirklich nicht zu sehen ist und darum den Beginn des Ramadan für den Sonntag ausgerufen.

Der Weg zur Wüste



Kontrollpunkt




Die Autobahn, die Jeddah über Riad mit Dammam verbindet, verfügt auf ihrem 1400 Kilometer langen Weg über vielleicht acht oder zehn echte Abzweigungen. Straßen erster Ordnung, die zu kleinen Nestern führen und von dort auf Wüstenpisten zweiter Ordnung zu noch winzigeren Nestern.



Bei 120 Stundenkilometern ist Schluß. Es ist nicht anzunehmen, daß hinter dem Kontrollpunkt auf die nächsten 770 Kilometer sich irgendjemand für die Geschwindigkeit interessiert. Aber alle Fahrzeuge werden nach dem Import so ausgerüstet, daß sie ab 120 anfangen rhythmisch zu pfeifen. Wie gesagt, Saudi Arabien ist kein Land, wo einem Sünden oder Regelübertretungen leicht gemacht werden.




Die Autobahn hat aber weitaus mehr Kreuzungen, hochtrabend "Junctions" genannt. Viele der Abzweigungen enden nach hundert Metern in der Wüste. Oder besser: sind angeschlossen an das eigentlich historische Netz der meist deutlich erkennbaren Wege der Wüste.



Die Escarpments











Boden



rot, steinig, metallischer Klang



Graffiti Rock








Ende der Welt









Orientierung



Zur Orientierung ist unbedingt GPS zu empfehlen. Es gibt Wegmarken, aber die sagen nur dem gut Informierten etwas.




Man ist auch in der Wüste, zumindest den Gebieten, die noch etwas Steppencharakter haben, nicht allein.



Der Klang der Wüste





Im letzten Ort vor der Wüste habe ich ein unbeschreibliches Hotel gefunden. Ich habe das Bett genau untersucht und von den Wänden abgerückt. An der Decke ein großer Ventilator. Ich könnte stattdessen auch die klappernde Klimamaschine benutzen. Nachts ist es aber kühl genug.


Auf der Straße starrt man mir hinterher. Europäer kommen hier selten vorbei. Ich habe in einer arabischen Garküche gegessen. Nur ein Gericht: ein Brei, der in einem riesigen Topf brodelt und ohne Besteck aus einer Schüssel zu essen ist - nur unter Zuhilfenahme von Fladenbrot. Das Personal war über mein Erscheinen aus dem Häuschen. Sie kriegten sich nicht wieder ein, als ich bedeutete, es habe geschmeckt.



Weiße Kamele am Rand der Wüstenpiste tauchen wie Geister im Scheinwerferlicht auf.

Der Sternenhimmel ist gewaltig. Noch gewaltiger ist die unirdische Stille. Nichts rührt sich. Nichts, was im trockenen Luftzug rauschen kann. Nie antwortet ein Nachhall.



Wenn ein Auto mit 150 auf dem Waschbrett der Piste vorbeidonnert, klingt das, als käme ein Flugzeug. Und sofort ist wieder absolute Stille.

Im fernen Umkreis flackern drei Feuer.

Noch einmal Saudi Arabien?


Für den Abendländer hält dieses Land reichlich Komik bereit, und man muß diese Komik sehen und würdigen, wenn man sich längere Zeit unbeschadet dort aufhalten will. Man muß sich aber auch die Mühe machen, etwas tiefer zu blicken. Es ist wie mit China: Europäer sind mit diesen Kulturen nicht kompatibel, müssen aber ihr (teils weitaus) höheres Alter anerkennen.



Eine Verwunderung bleibt zurück, Sehnsucht auch, wie gesagt. Dennoch ist man manches Mal froh, wenn die Lufthansamaschine die Nase wieder hebt. Einmal seufzte ich leise "Gott sei Dank", als ich einstieg, und eine Stewardess, die dies gehört hatte, strahlte mich an: "Ja!".









 

N 24.689800 E 46.717200

 

Kommentar von Thomas Bez am 03.10.2007 14:43:

Die Entwicklung geht weiter. GPS empfiehlt man heute nicht mehr, das ist in jedem besseren Mobiltelephon drin. Als der Artikel geschrieben wurde, war ein Garmin mit schematischer Routendarstellung, ohne Karte, noch Stand der Technik. Google Earth gab es noch nicht.

Als der Artikel geschrieben wurde, war Saudi Arabien sowieso noch ein anderes Land als heute (muß ich vermuten, weil ich seitdem nicht mehr dort war und man selten Leute trifft, die von dort berichten können). Der "elfte September" von New York hatte noch nicht stattgefunden und Bin Ladin war eher als arabische Baufirma <http://www.sbgpbad.ae> bekannt. König Abdullah war nur Kronprinz, formal herrschte noch Fahd. Der Krieg in Afghanistan hatte noch nicht seine Fortsetzung im Krieg gegen Saddam Hussein gefunden...

Kommentar von Thomas Bez am 17.01.2009 09:10:

Eigentlich hätte es noch mehr zu schreiben gegeben, aber irgendwann blieb dies halbfertig liegen, zu erkennen an den Abschnitten, die nur aus Bildern bestehen. So soll es nun auch bleiben, denn all dies liegt einige Jahre zurück.

Gelegentlich fragt ein Besucher, ob ich diesen Artikel nicht vervollständigen könnte. Heute müßten über diese arabische Welt aber wiederum ganz andere Dinge gesagt werden; das Auskramen alter Eindrücke kann kaum noch interessieren.