Falsche Gewährsleute und richtige Revolution

Von Thomas Bez am 01.02.2017

Weblog Tedesca <http://www.tedesca.net>

 

Artikel auf Sezession: Das 20-Punkte-Programm für den Widerstand <http://sezession.de/56977>

Timothy Snyder hat die Kunst entwickelt, Trump explizit nicht mit Hitler zu vergleichen, er spricht also von der gegenwärtigen Situation in den USA und nicht von Deutschland. Im November hatte der Autor ein 20-Punkte-Programm publiziert. Setzt man „Deutschland“ statt „Amerika“ ein, hat man mit ein wenig komparatistischem Zwischendenzeilenlesen ein ganz gutes Rüstzeug für den hiesigen Widerstand.

Was wir meinen, zum Artikel der geschätzten Frau Sommerfeld anmerken zu sollen.


Nicht nur der Deutschen liebster Zeitvertreib: ...
by Bundesarchiv, Bild 101I-811-1881-33 / Wagner /
CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5477887

... der Hitlervergleich
by Gage Skidmore from Peoria, AZ
United States of America - Donald Trump, CC BY-SA 2.0
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66881486

1. Hitlervergleiche

Wer so intensiv Trump explizit und eindeutig NICHT mit Hitler vergleicht und das so penetrant betont, hat den Hitlervergleich längst abgefeuert. Das darf Snyder gern tun, das darf jeder gern tun, ein Gewährsmann für gute Ratschläge zur Durchführung konservativen Widerstands ist diese Person für uns dann nicht mehr, mangels Seriosität nämlich, auch wenn die Ratschläge erst einmal sehr hübsch klingen. Wir wären nicht auf die Idee gekommen, Ratschläge zum Kampf um unsere Freiheit gerade bei Snyder zu suchen. Wenn er sagt, daß, wie wir im zitierten Welt-Artikel lesen können, "eine Wahl im November, die unerwartete Folgen hatte" oder er "sich sehr geschickt der neuen Medien zu bedienen weiß" eine auffällige Parallele zwischen Hitler und Trump sei, dann ist das demagogisches Grundlagenseminar, aber intellektuell eine ziemlich untere Schublade. Wenn es dann etwas ernsthafter klingt und um "die Überzeugung eines Anführers, daß die Wahrheit völlig irrelevant ist" geht, müssen wir uns fragen: (1.) Welche Wahrheit worüber ist hier gerade gemeint? (2.) Woran ist die Überzeugung des Anführers, daß die Wahrheit (für ihn oder überhaupt, wenns gerade paßt oder ganz grundsätzlich?) irrelevant ist, zu erkennen? - Weiter haben wir den Schmus in der Welt dann nicht gelesen. Denn wenn das nicht doch ein Hitlervergleich (sozusagen in den Rücken) ist, was dann? Wir sind von Hitlervergleichen inzwischen so maßlos gelangweilt...

2. Billige Thesen-Kompilate

Aber schaun wir mal inhaltlich in Snyders 20 Thesen. (Daß es auch immer so eine schön runde Zahl sein muß, 10 oder 20. Wie die Top 10 der besten Smartphones. Nur einer hat sich bisher zu 95 Thesen verstiegen. Aber dies hier nur mal beiseit' gesprochen.)

Übergeben wir einem autoritären Regime nicht freiwillig die Macht.

Aber klar doch, voll d'accord. Welches autoritäre Regime wäre das denn? Das der Revolution von Trump oder das der Konterrevolution nach geglücktem Attentat auf Trump und Handstreich gegen potentielle Amtsübernehmer? Man kann die 20 Ratschläge (im Original) gegen beide Szenarien lesen und sie passen immer. Das macht sie so toll und so wertlos.

Frischen Sie Ihre transatlantischen und russischen Freundschaften auf oder entwickeln sie überhaupt erst einmal welche.

Nun ja, transatlantisch haben wir hier im Staat BRD schon seit 70 Jahren und sehen, wohin uns das geführt hat. Die Lektion aus Trump hätte ja gerade sein können, ein neues deutsches oder wenns den sein muß europäisches Selbstbewußtsein zu entwickeln. Gerade transkontinentale Beziehungen zum postkommunistischen Rußland würden uns außerordentlich nützen.

Der Spin, hochverehrte Frau Sommerfeld, den Sie der Vorlage geben durch Rechtsherumdrehen und kleine Einschübe (man vergleiche Original und Ihre Interpretation von These 4) ist ehrenwert und steht wofür nach unserer Auffassung Sezession steht. (Auch wenn beim Wort Demokratie mancher Leser schon wieder fragen mag: Welche Art von Demokratie ist hier gemeint? Wollen wir DIESE Demokratie retten oder wollen uns bei dem Wort etwas anderes vorstellen?) Wir teilen so ziemlich in allen Punkten Ihre Meinung, die aus dem spricht, was Sie aus Snyders angeblich handkopiertem Papier gemacht haben. (Wir stellen uns gerade Snyder in einer Fußgängerzone in Wichita, Kansas vor. Warum twittert er's eigentlich nicht oder schreibt in der Huff oder seinem Blog? Auch viele Trumpisten haben schon Internet.)

3. Was für eine Art Revolution hätten wir denn gern?

Es ist frappierend, mit wie wenig Hinzufügens es möglich ist, aus einer einigermaßen strukturierten generischen Vorlage ein der Sache angemessenes und durchaus nützliches Brevier zu zimmern. Wenn das funktioniert, vielleicht nehmen wir uns für die konservative Revolution (in einer sachlich-praktischen Interpretation des Begriffs, keiner metaphorisch-metapolitischen) doch mal Lenin als Vorlage vor, angefangen mit "Was tun?". Oder die einzige deutsche Revolution die jemals zum Abschluß geführt wurde? Beides natürlich unter Weglassung aller ihrer ideologischen Bestandteile und ihrer Protagonisten, all dies ersetzt durch die Attribute gemäß dem Ziel, das wir mutmaßlich gemeinsam im Auge haben. Sozusagen Revolutionstheorie als technisches Gerüst. (Im Zeitalter der Smileys betonen wir extra: Diese Idee enthält nur den Hauch von Ironie, der uns normalerweise schützt, uns selbst zu überheben.) Vielleicht kann man auch aus den falschen Revolutionen Richtiges lernen, wie zum Beispiel Trump es augenscheinlich tat. Und die einzige (noch) oppositionelle Partei in Deutschland täte auch daran gut, wenngleich wir glauben, daß jenseits des dringend notwendigen massiven Zugewinns im September diese Partei nicht die eigentliche Bewegungspartei werden wird. Dafür braucht es eine Partei neuen Typus, welche vermutlich mangels hinreichender Implementierung innendemokratischer Prinzipien schon nach deutschem Vereinsrecht illegal wäre.

Aber eh wir noch ins Schwafeln geraten, hören wir erst einmal auf. Nichts für ungut.

PS: Eine Frage hätte wir doch noch, nämlich zu These 9: Vor gar nicht so vielen Jahren noch hätten wir die FAZ die beste Zeitung der Welt genannt, dicht gefolgt von der NZZ - und wir kennen ein wenig von der Welt. Sic transit gloria mundi. Letztes Jahr haben wir uns ihrer nach 12 Jahren Abonnement entledigt und sudeln nur noch dann und wann ein wenig auf FAZ.NET. Leider gibt es noch immer keinen deutschen Ersatz, der an das frühere Niveau der FAZ heranreicht, weder unter den Tages- noch unter den Wochenzeitungen. Wir fühlen uns etwas einsam ohne ein Stück Presse, das wir mögen können. Als Lektüre zum Frühstück können wir Camus oder Orwell einfach noch nicht verdauen. Kein Bier vor vier. Den Geheimtip (neben der Sezession, natürlich) suchen wir noch immer. Irgendwelche Anregungen?